darkland

2008  // bremen  //  schwankhalle

choreographie helge letonja

komposition ritzenhoff

bühne naoko tanaka


Steptext Dance Project: «Darkland»
Der Soundtrack fasst das Thema des Abends in eine berührende Melodie. Didos berühmtes Klagelied aus Purcells Oper gießt den Schrecken über den Verlust des Geliebten und den nahen Tod in die Schönheit des Klangs.
In der Bremer Schwankhalle zur Uraufführung erklingt die Arie nicht in gewohnter Form und Dramaturgie. Ein Tänzer trägt das doppeldeutige «Remember Me» der Sterbenden murmelnd auf den Lippen. Zerstückelt, verzerrt tritt das Dido-Zitat an späteren Stellen des Stücks an die Seite brüchiger Bild- und Bewegungsfragmente.
«Darkland» heißt die neue Choreografie von Helge Letonja, jüngste Produktion des Steptext Dance Project. Ging es im letzten Stück Letonjas, «Shaum», um die Geburt der Schönheit, ist in «Darkland» zu Purcell-Splittern um den Venus-Sohn Aeneas die Ästhetik des Verfalls und Verschwindens zentrales Thema.
In der Raumkulisse von Naoko Tanaka, die in purem Schwarz-Weiß, Schattentheater und Videoprojektionen, Präsenz entfaltet, kreisen die Bewegungen des fünfköpfigen Ensembles um den Verlust von Räumen und Orten, um das Verrinnen der Zeit.
Als Leitbild ziehen sich transparente, wassergefüllte Plastikwürfel durch die Inszenierung. Von zwei Tänzern zur Stück-eröffnung aufgeblasen, finden sich die blubbernden und wabernden Behälter später als Last und Bedrohung, Sinnbild einer über die Ufer getretenen, von Menschen verformten Natur, auf den Köpfen der Akteure wieder.
Ein weiteres Leitmotiv ist der Atem, mit dem die Tänzerinnen Hsuan Cheng, Bénédicte Mottart und Claudia Voigt einen Ur-Rhythmus initiieren, der im Verlauf in unbeherrschte, unorganische, im Raum verlorene Bewegungen zerfasert. In einem Solo hält Hsuan Cheng über dem Grundmetrum von Ein- und Ausatmen die Geräuschpalette der Atemwege in einer irritierenden Schwebe zwischen Schluchzen, Stöhnen, Klagen und Lachen.  
Videoprojektionen markieren durch die 70-minütige Aufführung immer wieder pointierte motivische Pfeiler. Dazu baut die Musik von Jörg Ritzenhoff in ihren repetitiven Strukturen, in Schleifen, Brüchen einen intensiven Echoraum. Von organischen Transformationen wie im Zeitraffer. Es geht über Ruinen, Knochenfelder und brennendes Papier zu einer Natur, die sich durch den Verfall in ewiger Erneuerung Bahn bricht. An einer Baumwurzel als Requisit wird katastrophischer Naturzustand ebenso sinnfällig wie Verlust von Erdung.
Entwurzelung, schattenhaftes Dasein, dämonische Schatten, all das greift die Bewegungssprache auf, wobei sich das Grundmotiv des Ruinösen und die Dramaturgie des Brüchigen als Fessel und streckenweise Überforderung der Tänzer erweisen. Auf einem Grundpuls, der bisweilen mehr Tempo, in jedem Fall aber mehr Binnenspannung vertragen hätte, gelingt es den Akteuren nicht immer, Romantik und Dämonie in packende Bilder zu fassen.

Rainer Beßling / ballettanz / Seite 43 / Dezember 2008


Tanztheater
Darkland
Das "Steptext Dance Project" eröffnet seine neue Spielzeit. "Darkland" heißt die neue Choreografie von Helge Letonja und sei "eine choreografische Recherche zur ambivalenten Schönheit des Verfalls".

In einem schwarzweißen Bühnenraum, dem im Verlauf buchstäblich der weiße Boden unter den Füßen weggezogen wird, begegnen wir fünf Tänzern und Tänzerinnen, die sich gelegentlich in Synchronität zusammenfinden, häufiger aber scheinbar beziehungslos umeinander gleiten, stolpern, zucken. Wo Annäherung stattfindet, wirkt sie oft entscheidender Mittel beraubt - ohne Hände Berührung ersehnend. Projektionen spielen in "Darkland" eine entscheidende Rolle. Auf zwei Leinwänden sehen wir Ruinen, Gebein, wie Scherenschnittfilmen entstammende Figuren, die sich in verrauschten Bildern bewegen, während eine knisternde Schallplatte läuft - verlorene Zeit nostalgisch gefiltert? Dann fließt zähes Pechschwarz über das herb(st)schöne Bild. Immer dunkler wird die Szenerie, die Musik (Jörg Ritzenhoff) schroffer, lauter - bis dann am Ende durch Baumkronen doch noch die Sonne bricht. Ein Neuanfang. Bis dahin hat Letonja prägnante Bilder gefunden. Allerdings gerät das Gesuchte bei der Recherche gelegentlich aus dem Blick. Aber das ist wohl das Risiko einer Recherche.

TAZ //  27.09.2008  
ASL